Interview mit Jochen Kilp: „Wir brauchen kein Kuschelklima“

29.11.2021

Mit freundlicher Genehmigung der Taunus-Zeitung, dort erschienen am 22. November 2021.

Die Konstellation dürfte ihresgleichen in der Polit-Landschaft suchen: Gleich fünf ehemalige Bürgermeisterkandidaten sitzen im Friedrichsdorfer Stadtparlament. Einer von ihnen als Sieger des Urnengangs, die anderen als Fraktionsvorsitzende oder Mitglied ihrer Fraktion. In einer Serie beleuchten wir, wie die Kommunalpolitiker mit dieser besonderen Situation umgehen, ob und wie sie im politischen Alltag angekommen sind. Im dritten Teil der Serie spricht Klaus Späne mit Jochen Kilp von der FDP, der erstmals in Friedrichsdorf bei einer Wahl angetreten war.


Von vielen Seiten gab es Lob dafür, dass sämtliche ehemaligen Bürgermeisterkandidaten im Stadtparlament sitzen. Ist das auch für Sie eine Bereicherung?

Erst einmal muss man sagen, dass wir bei der Wahl hervorragende Kandidaten hatten. So ein Bewerberfeld hätten viele Kommunen gerne. Von daher waren alle eine Bereicherung. Alle hätten auch, jeder auf seine Art, Friedrichsdorf als Bürgermeister gut getan. Natürlich ist die Kompetenz, die die restlichen Vier ins Stadtparlament einbringen, ein Gewinn für Friedrichsdorf und die parlamentarische Arbeit. Es ist ja auch eine wichtige Arbeit, die wir im Parlament leisten. Und ich finde es klasse, dass alle mit anpacken.

War es von Anfang an klar, dass Sie den Fraktionsvorsitz bei der FDP übernehmen?

Nein, das war nicht von vornherein klar. Wir haben uns nach der Wahl als Team gefunden und jeder seine Rolle. Wir waren der Meinung, dass ich den Fraktionsvorsitz übernehmen soll, zumal auch Evelyn Haindl-Mehlhorn in den Magistrat gegangen ist.

Also keine Festlegung schon vor der Wahl, nach dem Motto: „Wir haben eh keine realistische Siegchance“?

Nein, da gab es keine Absprachen oder Festlegung. Ich bin mit dem Anspruch angetreten, die Wahl zu gewinnen. Wenn man
überlegt, wie viel Zeit ich und mein Team reingesteckt haben und was wir alle unseren Familien zugemutet haben, kann das gar nicht anders sein.

Sie sind das erste Mal bei einer Wahl in Friedrichsdorf angetreten. Rückblickend betrachtet: zufrieden oder unzufrieden mit dem Ergebnis von 14,5 Prozent?

Wir sind nicht angetreten, um auf Platz vier zu landen, das war nicht unser Anspruch. Damit können wir nicht zufrieden sein.

Wie erklären Sie sich, dass Sie nicht besser abgeschnitten haben?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Ein Grund war, dass wir hervorragende fünf Kandidaten hatten. Und natürlich, dass es als Zugezogener schwerer ist, sich durchzusetzen, als jemand, der seit über 50 Jahren (Anm.: Lars Keitel, die Red.) in Friedrichsdorf lebt. Hinzu kommen natürlich die Corona-Einschränkungen im Wahlkampf, die das persönliche Kennenlernen fast unmöglich gemacht haben.

Wirkt die Wahl bei Ihnen noch nach oder ist das abgehakt?

Das ist abgehakt. Wir sind da schnell als Team in den Arbeitsmodus gewechselt. Das hat man ja auch in den letzten Monaten gesehen.

Sind Sie ein Typ, der eher nach vorne als zurück blickt?

Nur Zurückblicken bringt uns nichts. Natürlich gehört es auch dazu, sich nach einem Wahlkampf hinzusetzen und zu überlegen, was haben wir gut gemacht, worauf können wir aufbauen, was hätten wir besser machen können? Aber eben nicht aus Vergangenheitsbewältigung, sondern um zu überlegen, was wir für die Zukunft für Lehren draus ziehen können. Also ganz klar: Blick nach vorne.

Können Sie trotz des unbefriedigenden Abschneidens etwas Positives aus der Zeit ziehen?

Ganz viel. Der Wahlkampf hat uns gutgetan. Er hat uns als FDP Friedrichsdorf wahnsinnig geformt. Wir haben uns als Team sehr schnell gefunden, haben gut zusammengearbeitet. Wir haben viele inhaltliche Impulse bekommen, haben viele Kontakte im Wahlkampf gehabt, die auch im Nachhinein gehalten haben. Es gibt viele Bürger, mit denen wir immer noch im Gespräch, im Austausch sind. Wir haben viel Zuspruch erhalten, und wir haben auch, was Mitglieder angeht, viel Zulauf bekommen.

In den ersten Parlamentssitzung haben Sie einige Themen aus dem Wahlkampf aufgegriffen. Bewusst?

Definitiv. Man sieht es ja, wenn man sich die Tagesordnung der letzten Stadtverordnetensitzungen anschaut, dass die FDP mit Abstand die meisten Impulse setzt mit Eigenanträgen, aber auch Änderungsanträgen mit eigenen Konzepten zu Magistratsvorlagen. Wir haben sehr viel von den Themen und Anregungen, die uns die Bürger im Wahlkampf mitgegeben haben, schon in Anträge umgesetzt – und unsere Ideenbücher sind noch voll. Die versuchen wir umzusetzen.

Beispiele?

Zum Beispiel das Thema Neustart nach Corona. Das war ein gemeinsamer Antrag, der aber auf unsere Initiative zurückging. In den runden Tischen mit den Vereinen wurden Dinge auf den Weg gebracht wie regelmäßiger Austausch, der Tag des Sports, der nächstes Jahr kommt. Das geht auf unsere Initiative zurück. Wir haben den Weltkindertag wieder reaktiviert mit unserem Antrag. Wir haben dafür gesorgt, dass ein Bildungsträger während der Ferien ein Lerncamp anbieten konnte mit digitalen Endgeräten, gespendet von der Stadtverordnetenversammlung. Wir haben auch in den ersten Monaten vieles von dem, was die alte Fraktion angestoßen hat, auf die Schienen gesetzt. Das Thema Verkehrskonzept etwa hatte die alte Fraktion schon aufgeworfen. Jetzt hat der Magistrat Mittel im Haushalt eingestellt, das Parlament hat dem Magistrat in Auftrag gegeben, ein Mobilitätskonzept zu entwickeln. Nicht zu vergessen die Reduzierung von Streusalz, die in der letz-
ten Ausschussrunde diskutiert wurde – das geht auf einen FDP-Antrag von 2019 zurück.

Hört sich nicht so an, als würden Sie sich als Newcomer fühlen, der Sie ja im Stadtparlament sind…

Das stimmt. Dafür bin ich auch schon zu sehr in den Themen drin, nur dass ich eben bisher nicht im Parlament saß. Das einzige, wo ich mich noch als Newcomer fühle: Ich habe in vielen Parlamenten mitgearbeitet. Natürlich gibt es Friedrichsdorfer Besonderheiten, wo man sich fragt: Warum machen die das so und nicht wie in anderen Parlamenten? Das zu hinterfragen ist auch meine Aufgabe.

Generell gibt es einige neue Gesichter in der Runde. Hat das Ihr Ankommen erleichtert?

Das spielt schon eine Rolle. Wenn Neue reinkommen, die noch nicht die Verletzungen der letzten Jahre mit sich rumtragen, ist es einfacher, mit denen von Anfang an konstruktiv und sachlich zusammenzuarbeiten.

Die Stimmung im Stadtparlament ist ja manchmal recht giftig. Oder wie empfinden Sie die Situation?

Was wir als FDP in den ersten Monaten merken, ist, dass man konstruktiver seitens der Mehrheitsfraktionen mit uns umgeht, dass verschiedene Impulse, die wir gesetzt haben, aufgegriffen wurden. Das registrieren wir zufrieden. Wir stellen auch an uns den Anspruch, konstruktiv und sachlich beim Ringen um die beste Lösung zu bleiben.

Also nicht mehr die verhärteten Fronten wie früher?

Genau. Wir als FDP wissen natürlich, wir sind kein bequemer Gesprächspartner im Parlament. Wir haben klare Vorstellungen, sind hartnäckig, sind auch nicht schnell zufrieden zu stellen. Wir haben klare Vorstellungen, entwickeln eigene Konzepte. Dass wir damit hier und da anecken, liegt in der Natur der Sache. Ist aber auch nicht schlimm. Wenn wir hart ringen und uns gegenseitig zugestehen, dass es uns um die beste Lösung für Friedrichsdorf geht, ist das in Ordnung. Das kann ein bisschen rumpeln, solange es im verbindlichen Ton ist, wir brauchen kein Kuschelklima im Stadtpar
lament, wo wir uns alle ganz toll liebhaben. Wichtig ist uns, dass nicht unter der Gürtellinie diskutiert wird.

Sie stimmen sich in der Opposition immer wieder mit der CDU ab. Steht Ihnen die CDU am nächsten?

Als FDP haben wir viele inhaltliche Schnittmengen mit der CDU. Und wir pflegen auch einen konstruktiven Austausch. Aber mit den Koalitionsfraktionen versuche ich das ganz genauso. Da mache ich keine Unterschiede. Aber klar, erscheint das häufig im Stadtparlament wie der Block gegen uns oder die Opposition gegen die Koalition. Aber sehr häufig sind die Gründe für das Ablehnen einer Vorlage bei FDP und CDU unterschiedlich.

Kleiner Schlenker in den Bund: In Berlin steuert alles auf die Ampel zu. Könnte eine solche Koalition Auswirkungen aufs Stadtparlament haben?

Klar, unsere Einstellungen werden beeinflusst. Zum einen durch den direkten Kontakt zu den Leuten vor Ort. Aber auch zu den Personen, die wir aus den Medien kennen. Wenn Grüne und FDP an der Basis feststellen, dass die im Bund gemeinsam etwas hinbekommen, dass Christian Lindner vielleicht nicht so böse oder Annalena Baerbock nicht der Untergang ist, kann es dazu führen, dass sich der Blick auf die FDP oder die Grünen an der Basis etwas positiver darstellt.

Wie finden Sie persönlich die Ampel?

Ich finde erstmal gut, wie es bisher gelaufen ist. Dass FDP und Grüne sich zusammengetan und überlegt haben, wie es weiter geht, was man mit dem Wahlergebnis macht. Klar ist, wir müssen es miteinander machen, und zwar vernünftig.

Aber Jamaika wäre Ihnen lieber gewesen…

Ob Ampel oder Jamaika, da gab es für mich keine Präferenz. Wichtig ist für mich, dass wir etwas gestalten und etwas voranbringen. Das darf nicht dazu führen, dass die Grünen versuchen, die schlimmsten Themen der FDP zu verhindern oder dass die FDP sagt, wir haben das Schlimmste der Grünen verhindert. Es darf nicht der kleinste gemeinsame Nenner sein nach dem Motto „es ist nicht die Veränderung, die wir gewünscht haben, aber es ist besser als der Status quo“.

Klingt aber nach einem spannenden Experiment…

Finde ich auch. Und ich hoffe und bin auch vorsichtig optimistisch, dass das gut läuft.

Noch mal zum Stadtparlament. Es gibt einige unerledigte Themen aus der vorherigen Legislaturperiode. Worauf liegt der Fokus der FDP in nächsten fünf Jahren?

Viele Themen sind ja schon in der Diskussion. Die Mobilitätswende etwa mit dem Verkehrskonzept. Das war uns ein wichtiges Anliegen, das ist jetzt auf den Weg gebracht. Ich finde es wichtig, dass wir uns darüber verständigen, wie soll unsere Stadt in zehn, zwanzig, dreißig Jahren aussehen und dafür ist ja auch ISEK (Anm. d. Red.: Integrierte Stadtentwicklungskonzept) wichtig. Aber das ist nur ein Baustein. Wir dürfen auch die Innenstadt drum herum und die Ortsteile nicht vergessen. Das Thema Wirtschaftsförderung muss man erst einmal konstruktiv begleiten. Das Thema Klima-
schutz wird uns beschäftigen. Wir hatten uns da letztes Jahr schon konkretere Maßnahmen gewünscht und müssen sehen, ob die jetzt im Haushalt sind. Wichtig ist uns als FDP, dass wir bei allen Themen und Projekten auch über neue Wege nachdenken und Alternativen prüfen.

Es werden derzeit in der Stadtpolitik viele Konzepte entworfen oder vorbereitet. Keine Angst, dass die praktische Umsetzung auf der Strecke bleibt?

Das ist ein wichtiger Punkt. Wir haben vieles von dem, was wir in ISEK diskutiert haben, vorher in anderen Workshops schon mal diskutiert – beim Stadtentwicklungskonzept 25+ etwa. Wir haben ein Radverkehrskonzept, was nicht komplett umgesetzt ist. Der Anspruch muss sein, dass wir es dieses Mal wirklich umsetzen und nicht wieder schleifen lassen, dass wir zwar ein Konzept haben, es aber in der Schublade verschwindet. Ich glaube schon, um es am Beispiel Mobilitätskonzept festzumachen: Wir werden zum Jahr 2027 den ÖPNV spätestens neu ausschreiben. Bis dahin müssen wir mit unseren Vorstellungen fertig sein, wie wir den Verkehr in Friedrichsdorf und die Verkehrsströme bewältigen wollen, wie wir die lenken wollen. Dass wir es mit gewissem Vorlauf ausschreiben müssen, setzt uns ein bisschen unter Druck, aber das ist auch nicht schlecht.

Fragt sich, welcher Gestaltungsspielraum bleibt angesichts der angespannten Finanzen. Muss man da nicht Abstriche machen?

Das ist ja auch Aufgabe von Politik: Wir müssen Themen setzen und zusehen, dass dafür die Mittel prioritär eingesetzt werden. Es gibt aber keine Alternative zum Klimaschutz, das muss funktionieren. Genauso wie die Kinderbetreuung. Wir müssen qualitativ gute und quantitativ genügend Plätze anbieten. Das ist eine Riesen-Baustelle. Deswegen ist es auch gut, dass wir die Gebührenordnung noch mal eine Runde geschoben haben, um uns das noch mal in Ruhe anzuschauen.

In der Vergangenheit hatten Sie die Buslinie 56 kritisiert. Soll die noch mal auf den Prüfstand kommen?

Wir wollen einen vernünftigen ÖPNV und ein attraktives Angebot, was es den Bürgern ermöglicht, das Auto stehen zu lassen. Wenn wir aber feststellen, dass ein (teures) Angebot nicht so nachgefragt wird, wie wir uns das vorgestellt haben, muss man auch den Mut haben zu sagen: War eine Idee, aber es gibt vielleicht bessere Alternativen. Deswegen haben wir eine Anfrage gestellt, wie sich die Fahrgastzahlen darstellen, auch im Vergleich mit den anderen Buslinien in Friedrichsdorf. Wir wollten uns ja bei der Tour der Möglichkeiten in Seulberg den Bus mal ansehen.

Und?

Kam nicht.